Jeder, der sich schon einmal auf ein Bewerbungsgespräch vorbereitet hat, kennt diese Situation: bevor man aufgeregt beim Personaler sitzt und sich den kniffligen und teilweise kritischen Fragen des Unternehmens stellt, will man gut vorbereitet sein. Man fängt an, mögliche Fragen vorzubereiten und die Reaktion darauf einzuüben, manchmal sogar Situationen zu trainieren. Wenig verwundert es daher, dass an vielen Stellen mittlerweile sogar Bewerbungscoachings angeboten werden, um diese Situationen bestmöglich vorzubereiten. Es gilt, den potenziellen Arbeitgeber zu beeindrucken. Dabei merken wir oftmals, dass wir als Bewerber in eine bestimmte Rolle rutschen. Es ist kein Geheimnis, dass Personaler manchmal auch vor und nach dem Bewerbungsgespräch den neuen Bewerber beobachten. So manch einer vergisst jenseits des eigentlichen Gesprächs, dass er sich in einer bestimmten Rolle befindet, und verhält sich dann ganz anders. Das hat dem einen oder anderen Bewerber wohl auch schon jegliche Chance auf die Stelle zunichte gemacht.
In sozialen Interaktionen nehmen wir Rollen ein
Am Beispiel des Bewerbungsgesprächs lässt sich erkennen: wir alle sind Tag für Tag Teilnehmer eines großen Schauspiels. Im Bewerbungsgesprächs sind dabei die Personaler, sowie die potenziellen neuen Vorgesetzten und Kollegen Mitspieler und teilweise auch das Publikum. Dieses Phänomen hat sich auch der Sozialpsychologe Erving Goffman näher angeschaut. In seinem Buch „The Presentation of Self in Everyday Life“, das bereits im Jahr 1959 erschienen ist, zieht er Parallelen zwischen sozialer Interaktion und dem Schauspiel im Theater. Nach Goffman geht es bei jeder sozialen Interaktion um den Publikumseffekt und um einen authentischen Selbstausdruck.
Im sozialen Miteinander präsentieren wir nicht unser wirkliches Innenleben, also das, was uns eigentlich wirklich ausmacht. Vielmehr präsentieren wir dem Publikum eine Mischung aus allem, was in unsere öffentliche Darstellung einfließt. Genau wie im Theater gibt es verschiedene Faktoren, die dabei eine Rolle spielen: das Bühnenbild, Requisiten, Kleidung (Kleider machen Leute!), Fähigkeiten und ein gemeinsames Verständnis über das, was die öffentliche und die private Sphäre ausmacht. So gibt es bestimmte Situationen, an die bestimmte Normen, Regelwerke und Erwartungshaltungen geknüpft sind. Im Bewerbungsgespräch bei einer Bank zum Beispiel wäre es vermutlich zu erwarten, dass auf ein seriöses und gebildetes Auftreten Wert gelegt wird. So wird die Situation in diesem Fall erfordern, dass auch ein bestimmter Wortschatz während des Gesprächs eingesetzt wird, der anders sein mag als im Gespräch mit dem besten Freund. Das Theaterspiel bezeichnet Goffman als „Impression Management“. Es geht dabei auch darum, Kontrolle über die eigene Erscheinung auszuüben. Über Sprache, Mimik und Gestik, aber auch über interaktionsfreie Kommunikation findet eine regelmäßige Regulierung und Kontrolle der eigenen Person statt.
Das Theater findet auf zwei Bühnen statt
Situationen bestehen oft aus einer sogenannten Vorderbühne und einer Hinterbühne. Die Vorderbühne ist dabei die für alle „sichtbare“ Bühne. Normalerweise ist hier klar, dass man beobachtet wird (wie beispielsweise während des eigentlichen Vorstellungsgesprächs) und so wird die eigene Rolle gespielt. Auf der Hinterbühne, wo wir nicht unter Publikum sind oder wo wir nur von Eingeweihten umgeben sind, fühlen wir uns unbeobachtet und fallen aus der Rolle heraus. Das kann man zum Beispiel auch bei Politikern beobachten: Die Vorderbühne kann hier beispielsweise vor der Kamera in einer Fernsehsendung sein. Die Rolle “Politiker” wird gespielt und es wird das zur Schau gestellt, was diese Rolle erfordert. Dabei kann es insbesondere auch vorkommen, dass Verhaltensweisen oder Meinungen präsentiert werden, die nicht kompatibel zur eigenen Persönlichkeit sind. Hinter der Kamera, also auf der Hinterbühne, ändern sich auf einmal die Verhaltensweisen. Indem man das Verhalten auf der Hinterbühne beobachtet, kann man auch Rückschlüsse darauf ziehen, mit welchen Mitteln die Inszenierung der Rolle stattfindet. Das Inszenieren vor der Kamera lernen Politiker zum Beispiel auch in Rhetorikkursen.